Landwirtschaft braucht Rückhalt – Für alle, die geblieben sind

Claim: Unser Sprecher Tjorben Bautz hat ein persönliches Positionspapier zur Landwirtschaft geschrieben. Wir veröffentlichen es hier, weil es zeigt, wie eng persönliche Erfahrung und politisches Engagement zusammenhängen.

v. l. Tim Fechtelkord, Tjorben Bautz und Marco Bautz

Was ist ein Leben als Landwirt eigentlich noch wert?

Diese Frage begleitet mich seit Jahren. Wir reden ständig über regionale Lebensmittel, Tierwohl und Nachhaltigkeit. Aber weißt du, wer in diesen Debatten oft kaum noch vorkommt? Die Menschen, die das alles überhaupt möglich machen: die Landwirte und Landwirtinnen.

Meine Geschichte in Heddinghausen

Unser alter Hof in Heddinghausen – viele kennen ihn vielleicht noch. Lange stand er leer. Aber wir hatten eine Perspektive. Und wir hatten eine Nische gefunden, die zu uns passte.

Entgegen aller Trends – mit Idealismus, Energie, Hoffnung – haben wir dem Hof wieder Leben eingehaucht. Tiere zogen ein, Ackerflächen wurden zurückgeholt, Maschinen entstaubt. Das Radio war da. Später sogar das Fernsehen. Nachbarn kamen vorbei. Und dann stand da plötzlich ein 88-jähriger Altbauer wieder am Förderband und hat Kartoffeln sortiert – wie in seinen besten Jahren.

Ohne unsere Freunde – und ohne unsere Familie – wäre das alles gar nicht gegangen. Alle haben mit angepackt. Nicht für Geld. Sondern für fünf Kilo Kartoffeln. Für ein Kilo Filet. Für das Gefühl, dass da wieder was lebt.

Aber am Ende ist es gescheitert. Nicht am Fleiß. Nicht an der Arbeit. Nicht an der Idee. Sondern an etwas, das viele kennen, aber kaum einer offen sagt: Am Zusammenspiel zwischen denen, die keine Landwirtschaft mehr wollten – und denen, die sie weiterführen wollten. Familiäre Spannungen. Unterschiedliche Lebensentwürfe. Und irgendwann war klar: Es geht nicht mehr.

Bilder von den Tieren in Heddinghausen

Die harte Realität

Was mir das gezeigt hat? Dass selbst Idealismus, Zusammenhalt und Medienrummel nicht reichen, wenn die Realität auf dem Acker härter ist als die Bilder in der Zeitung.

Und dass es eben nicht reicht, nur von den Mustern und Leuchttürmen zu reden, während die vielen echten Höfe am Rand kämpfen.

Wir müssen aufhören, ständig nur die Musterbetriebe zu idealisieren. Die Bio-Vorzeigehöfe, die Solawi-Modelle, die Direktvermarkter mit Social-Media-Kanal. Nichts gegen sie – im Gegenteil. Ich lieb sie und wir gehörten auch zu einem dieser Betriebe in der Vergangenheit.

Kartoffelernte im Jahr 2021

Aber der ganz normale Hof braucht endlich wieder Rückhalt. Denn die meisten wollen nicht glänzen. Die wollen arbeiten. Tiere versorgen. Felder bestellen. Einfach Bauer sein, ohne sich jeden Tag rechtfertigen zu müssen.

Misstrauen und Druck

Es kann auch nicht jeder Betrieb Bio sein. Es ist nicht das Allheilmittel. Wir erhoffen uns eine Sicherheit durch Siegel – weil wir kein Vertrauen mehr in die Landwirte selbst haben. Und ja – das Vertrauen fehlt inzwischen.

Weil immer wieder die Rede ist von „Subventionen abgreifen“ und „Luxusschlepper auf Staatskosten“. Weil schwarze Schafe es uns allen schwer machen. Aber die gibt es überall. In der Landwirtschaft genauso wie in der Bauwirtschaft, in der Politik oder im Bankwesen. Und doch scheint es oft so, als würde man gerade allen auf dem Acker oder im Stall pauschal misstrauen.

Aber wie soll man wachsen, sich entwickeln oder durchhalten, wenn man ständig das Gefühl hat, man steht unter Generalverdacht?

Und es kann doch nicht sein, dass nur noch Betriebe bleiben, die sich wie Start-ups ständig neu erfinden – oder so groß sind, dass der Bauer selbst gar nicht mehr weiß, was auf seinem eigenen Hof eigentlich los ist.

Dazwischen wird’s eng. Und genau da liegen die Höfe, die wir eigentlich wollen: natürlich, regional, familiär. Nicht hochoptimiert, sondern verlässlich. Nicht glänzend, sondern da.

Existenzkampf

Und selbst wenn man alles richtig macht – alle Auflagen erfüllt, zum passenden Zeitpunkt eingesät hat, Kredite bedient, Flächen pflegt – reicht ein Wetterextrem, und alles steht wieder auf der Kippe. Dann heißt es: „Tja, das ist eben Risiko.“ „Verkauf doch einfach ein paar Hektar.“

Aber wer das sagt, hat etwas noch nicht verstanden. Stell dir vor, du bist selbstständig, und es läuft nicht. Die Bank will Geld, das Konto ist leer – würdest du dann einfach dein Fundament verkaufen? Deinen Arbeitsplatz? Deine Zukunft?

Rundballenpressen in Heddinghausen

Für viele Landwirte ist das kein Szenario. Es ist bittere Realität.

Viele machen trotzdem weiter. Nicht, weil’s läuft. Sondern weil sonst keiner mehr da ist. Und dabei machen sie nicht nur ihren Job. Sie sind Bauer. Sie sind Buchhalter. Sie sind Vermarkter. Sie sind Antragsschreiber. Und manchmal auch noch Sozialarbeiter, Seelsorger, IT-Abteilung und Tierarzt.

Keine 4-Tage-Woche. Kein Sabbatical. Kein Applaus. Und trotzdem machen sie weiter. Weil sie wissen, dass sie gebraucht werden – auch wenn’s ihnen kaum einer mehr zeigt.

Psychische Belastung

Und dieser Druck? Der ist nicht nur wirtschaftlich. Er ist psychisch. Er frisst sich in Familien. Er steht morgens mit auf und geht abends nicht schlafen.

Trigger-Warnung: In den nächsten Sätzen geht es um psychische Belastung und Suizid.

Und ja – wir müssen das auch sagen: Manche haben diesen Druck nicht mehr ausgehalten. Manche Landwirte haben keinen Ausweg mehr gesehen. Haben sich das Leben genommen. Laut Studien liegt die Suizidrate unter Landwirten seit Jahren deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.1

Das ist kein Betriebsproblem. Das ist ein gesellschaftliches Alarmsignal. Und es gehört in jede Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft.

Politik und Verantwortung

Ich bin kein klassischer Landwirt. Ich bin da reingewachsen. Und vielleicht sehe ich deshalb vieles mit anderen Augen.

Ich habe Stellen gesehen, die in anderen Branchen völlig anders funktionieren: Verträge, Prozesse, Kommunikation. Ich war ehrlich gesagt überfordert. Mit der Masse an Arbeit. Mit den Bedingungen. Mit den extremen Wetterunterschieden, die jede noch so gute Planung zerstören können.

Wir haben so viele Ideen entwickelt, dass es sich manchmal eher wie ein Start-up anfühlte.

Ich erzähle das nicht, weil es nur um mich geht. Sondern weil ich will, dass wir uns mal alle kurz die Zeit nehmen, um über das nachzudenken, was direkt um uns herum passiert.

Ich hab mich entschieden, nicht nur zuzuschauen. Ich mache Politik – hier in Delbrück. Weil ich will, dass die Leute, die uns ernähren, endlich wieder Luft zum Atmen bekommen. Dass Landwirtschaft nicht der Fußabtreter der Gesellschaft bleibt. Sondern endlich wieder den Respekt bekommt, den sie verdient.

Was Kommunalpolitik konkret tun kann

Und wenn du dich jetzt fragst: Was heißt das konkret? Dann ist die ganz klare Antwort:
Kommunalpolitik kann keine Milchpreise ändern. Sie kann keine Förderprogramme aus dem Boden stampfen. Und sie kann alleine auch keine Konzerne aufhalten, keine Einzelhändler in die Pflicht nehmen und die Globalisierung nicht umkehren.

Aber sie kann vieles ermöglichen, was direkt vor Ort zählt.

Bei Flächen und der Planung

Wir können dafür sorgen,

  • dass Flächen nicht einfach verschwinden,
  • dass Boden fair verpachtet wird – mit Blick auf Nachhaltigkeit statt Höchstgebot,
  • dass Landwirte und Landwirtinnen bei Planungen frühzeitig eingebunden werden,
  • dass wir bei Bebauungsplänen gegen agrarindustrielle Strukturen argumentieren.

In der Verwaltung und bei Strukturen

Wir können dafür sorgen,

  • dass Genehmigungen für tiergerechte Haltung nicht blockiert, sondern begleitet werden,
  • dass wir Verfahren vereinfachen, zuhören und Rückhalt organisieren,
  • dass wir politische Allianzen schmieden, die auf größere Hebel wirken – im Landtag, im Bundestag, in der Gesellschaft.

Bei der Vermarktung und Nahversorgung

Wir können dafür sorgen,

  • dass Hofläden, Wochenmärkte und kurze Wege in der Stadtentwicklung mitgedacht werden,
  • dass Ausgleichsflächen nicht nur blühen, sondern auch Dialog schaffen,
  • und dass in jeder Debatte auch die mitreden dürfen, die jeden Tag früh aufstehen, um uns zu ernähren.

Für alle, die geblieben sind

Für alle, die geblieben sind und weitermachen.
Für alle, die aufgegeben mussten.
Und für alle, die noch kommen wollen.

Quelle

  1. Tagesspiegel Background: „Vom Stall in den Suizid: Darum leiden so viele Landwirte unter psychischen Belastungen“ ↩︎

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